Sozialfonds für die Kosten der Empfängnisverhütung für Frauen mit Anspruch auf Leistungen gemäß SGB II oder SGB XII

Antrag zur Sitzung des Ausschusses für Soziales, Familien- und Seniorenfragen der Stadt Siegen am 23.05.2013

Sehr geehrter Herr Bender,
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt zur nächsten Sitzung des Ausschusses für Soziales, Familien und Seniorenfragen folgenden Beschlussvorschlag in die Tagesordnung aufzunehmen:

Beschlussvorschlag
Die Stadt Siegen richtet einen Sozialfonds für die Kosten der Empfängnisverhütung für junge Frauen ab dem vollendeten 20sten Lebensjahres ein. Der Sozialfonds wird in den Haushalt 2014 als fester Posten eingestellt. Anspruchsberechtigt sind Frauen, die Anspruch auf Leistungen gemäß SGB II oder SGB XII haben.

Der Fonds soll zunächst versuchsweise für ein Jahr in Höhe von 10.000 € in den Haushalt eingestellt werden. Vor Ablauf des Haushaltsjahres wird durch die Verwaltung ein Erfahrungsbericht hierzu erfolgen. Über den Fond werden gegen Vorlage einer ärztlichen Verordnung und des Kaufbeleges die Kosten für langfristig wirkende Verhütungsmittel übernommen.

Begründung
Seit der ersten Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen 1968 in Teheran gilt Familienplanung als Menschenrecht 1.
Es wurde auf der Internationalen Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung in Kairo 1994 zum Konzept der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte erweitert. Es beinhaltet das Recht eines jeden Menschen auf ungehinderten Zugang zu möglichst sicheren, gesundheitlich verträglichen und finanziell erschwinglichen Verhütungsmethoden 2. Die Bundesregierung hat die Unterstützung dieses Konzeptes immer wieder bekräftigt.

Pro Familia führt in einem Positionspapier zu dem Thema aus:
„Mit Inkrafttreten des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG) am 01. Januar 2004 ist das Menschenrecht auf Familienplanung nicht mehr für alle Menschen gewährleistet.
Benachteiligt sind vor allem Frauen und Männer, die Sozialhilfe, seit 2005  Arbeitslosengeld II (ALG II) oder Sozialgeld, beziehen.

Deren finanzielle und rechtliche Situation hat sich durch das GMG enorm verschlechtert.
Die gesetzlich verankerte Hilfe zur Familienplanung nach § 36 Bundessozialhilfegesetz wurde durch das neue Gesetz indirekt ausgehebelt. Denn: Laut GMG werden nur noch Leistungen gewährt, die „den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung“ (§ 52 Abs. 1 SGB XII) entsprechen. Das bedeutet: Frauen ab 20 Jahren erhalten keine Kostenübernahme für ärztlich verordnete Verhütungsmittel, also keine Hilfe zur Familienplanung.

Durch die Einführung des Arbeitslosengelds II (ALG II) am 01. Januar 2005 hat sich diese Situation für arbeitslose Menschen weiter verschärft. Die nettolohnabhängige  Arbeitslosenhilfe wurde abgeschafft. Unter dem neuen Begriff „Arbeitslosengeld II“ tritt bereits im zweiten Jahr der Arbeitslosigkeit die ehemals für das dritte Jahr vorgesehene Sozialhilfe in Kraft. Die angebliche Reform bedeutet in der Realität für viele eine Verschlechterung: Arbeitslose Menschen rutschen ein Jahr früher auf Sozialhilfeniveau ab.

Dadurch hat sich die Zahl der Menschen, die mit extrem wenig Geld auskommen müssen, deutlich erhöht. Und damit auch die Zahl der Frauen und Männer, die kein Geld für Verhütungsmittel haben. Denn: Der Regelsatz der Sozialhilfe gilt nun für das ALG II. Doch auf die ehemals Sozialhilfeempfänger/-innen zugesicherte Hilfe zur Familienplanung besteht bereits seit dem Inkrafttreten des GMG im Januar 2004 kein Rechtsanspruch mehr.
Im Regelsatz waren und wurden Verhütungsmittelkosten nicht berücksichtigt. Der Regelsatz für Arbeitslosengeld II und Sozialgeld beträgt seit dem 01. Juli 2009 bundesweit einheitlich 359 Euro pro Monat für einen allein stehenden Erwachsenen. Für Gesundheitsvorsorge (z. B Arztgebühr, Medikamente) sind darin lediglich ca. 14 Euro berechnet. Verhütungsmittel werden nicht extra berücksichtigt, können aber von diesem geringen monatlichen Betrag nicht bezahlt werden.

Unterschiedliche Handhabung je nach Wohnort Der § 49 Sozialgesetzbuch (SGB XII) ermöglicht zwar grundsätzlich die Übernahme der ärztlich verordneten Kontrazeptiva, doch diese hat dem GMG zu entsprechen. Diese beiden gegensätzlichen rechtlichen Bestimmungen haben neben allgemeiner Verunsicherung eine Ungleichbehandlung der Frauen zur Folge. Viele Kommunen beziehen sich darauf, dass das Gesundheits-modernisierungsgesetz über der Sozialgesetzgebung stehe und verweigern die Übernahme der Kosten für Verhütungsmittel.

Andere hingegen übernehmen die Kosten weiterhin, jedoch ohne verbindliche Rechtsgrundlage und damit auch ohne Rechtsanspruch der betroffenen Frauen.
Bundesweit findet sich eine sehr unterschiedliche Handhabung. Einige Bundesländer haben sich ausdrücklich für die Beibehaltung einer Hilfe zur Familienplanung entschieden und dort wird sie nahezu flächendeckend gewährt, in anderen wird sie weitgehend abgelehnt. Damit ist die Hilfe zur Familienplanung in die Freiwilligkeit der Kommunen und Kreise degradiert, die oft nach sehr unterschiedlichen Vorgaben Hilfe gewähren oder je nach Kassenlage nur zeitlich befristete Projekte ins Leben rufen.

Lebenssituation der Arbeitslosengeld II- und Sozialgeld-Bezieher/-innen
Die Realität zeigt, dass ein planmäßiges Ansparen aufgrund des eng bemessenen Regelsatzes nicht möglich ist. Die Folgen dieser Misere werden zunehmend auch in den pro familia-Beratungsstellen spürbar. So müssen Frauen häufig auf billigere und weniger sichere Verhütungsprodukte umsteigen oder verzichten ganz auf Verhütung, riskieren ihre Gesundheit und nicht selten eine ungewollte Schwangerschaft.“
(Pro Familia 2010)

Vor diesem Hintergrund halten wir die Einrichtung eines Hilfsfondses, der Frauen mit Anspruch auf Leistungen gemäß SGB II oder SGB XII unterstützt, angemessene Empfängnisverhütungsmittel zu erhalten, für dringend erforderlich.

Michael Groß, Fraktionsvorsitzender
Gül Ditsch, sachkundige Bürgerin im Sozialausschuss,
Thomas Puchelt, sachkundigre Bürger im Sozialausschuss


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1 Im Artikel 16 der Abschlussdeklaration der UN-Menschenrechtskonferenz 1968 in Teheran heißt es: „Eltern verfügen über das grundlegende Menschenrecht, frei und eigenverantwortlich über Anzahl und Geburtenabstand ihrer Kinder zu entscheiden.“
2 http://www.un.org/Depts/german/gvsondert/gv21ss/s212.pdf

Ergebnis der Beratung im Ausschuss
Der Ausschuss für Soziales, Familien- und Seniorenfragen kommt überein, die Beratung über den Antrag bis zur übernächsten Sitzung auszusetzen. Die kommende Sitzung wird zur Einholung weitergehender Informationen genutzt und findet in einer Konfliktberatungsstelle statt.

Aus der Sitzung des Ausschusses für Soziales, Familien- und Seniorenfragen am 10.10.2013

Herr Puchelt befürchtet, dass mit der Verwaltung des Fonds durch die Schwangeren- Konflikt-Beratungsstellen eine zu große Hürde für die anspruchsberechtigten Frauen aufgebaut wird.

Frau Mehlmann korrigiert, dass die Schwangerenberatungsstelle in Anspruch genommen werden sollte. Die Konfliktberatung sei nur ein kleiner Teilbereich des Beratungsangebotes.

Herr Schmidt führt ergänzend an, dass die Zugänge zu den unterstützenden Mitteln im Vorfeld äußerst kontrovers diskutiert wurden. Die Vorlage biete lediglich Vorschläge.

Frau Opterbeck sieht die heutige Beratung und Diskussion als erste Lesung und definiert den bisherigen Stand als Erfolg. Aus ihrer Sicht sei es zudem einfacher für die Frauen, eine Beratungsstelle anstelle des Rathauses aufzusuchen.

Frau Ditsch setzt sich für die Einrichtung eines Sozialfonds für benachteiligte Frauen ein, um ihnen die Chance zu geben, ihr Leben bewusst zu gestalten. Sie sieht jedoch ebenfalls ein Hemmnis darin, dass die Frauen eine Beratungsstelle aufsuchen müssen, um finanzielle Unterstützung für Verhütungsmittel zu erhalten. Sie regt an, auch über andere Einrichtungen, wie z. B. das Frauenhaus nachzudenken.

Auch Herr Lorenz hat sich zunächst über den Zugang „Beratungsstelle“ gewundert. Nach der Diskussion und Vorstellung der Träger ist er von den Argumenten überzeugt. Alles weitere wird sich seiner Ansicht nach in der Praxis zeigen und muss ggf. optimiert oder angepasst werden.

Herrn Puchelt ist ein niederschwelliges Angebot äußerst wichtig. Die Hürden sind so gering wie möglich zu halten. Aus diesem Grund erkundigt er sich, ob über eine Zuweisung durch die Frauenärzte nachgedacht wurde.

Frau Kratzel betont, dass die Verwaltung das Für und Wider bereits abgewogen und vor allem auf die Erfahrung anderer Städte gebaut habe. Da es sich jedoch nur um einen Vorschlag handelt, stehe der Politik eine abweichende Regelung selbstverständlich frei.

Unterstützend verweist Frau Mehlmann auf die verschiedenen Kooperationsbereiche der Beratungsstellen und deren Flexibilität. Für sie beinhalten die Stellen einen äußerst niederschwelligen Zugang.

Herr Löwenberg stellt fest, dass ein Armutsproblem nicht zum Beratungsproblem gemacht werden darf.

Herr Bender schlägt vor, die Angabe in der Vorlage, dass eine Schwangerschaftskonfliktberatung in Anspruch genommen worden sein muss dahingehend zu ändern, dass eine Beratung über Verhütungsmaßnahmen in Anspruch genommen wird. Ferner bittet er die Verwaltung um einen konkreten Beschlussvorschlag zur Einrichtung eines Sozialfonds bis spätestens zur Haushaltsplanberatung 2014 und erhebt dies zum Antrag.

Beschluss (über den Antrag von Herrn Bender):
Der Ausschuss für Soziales, Familien und Seniorenfragen nimmt den Sachstandsbericht zur Kenntnis und beauftragt die Verwaltung in Kooperation mit den Trägern und unter Berücksichtigung der Anregungen und Hinweise des Ausschusses zur Erstellung einer Beschlussvorlage zwecks Einrichtung eines Sozialfonds für die Kosten der Empfängnisverhütung bis spätestens zur Beratung des Haushaltsplanes 2014.

Beratungsergebnis:
Einstimmig dafür, 0 Enthaltungen

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