Neue Europagruppe Grüne: Brücke zwischen BürgerInnen und EU- Instiutionen

Von Sven Giegold

Mit den vergangenen Europa- & Kommunalwahlen haben wir Grünen uns aus
dem Tief der Bundestagswahl herausgearbeitet. Durch überzeugende Arbeit
in Kommunen, Land und Europaparlament haben wir ein starkes Ergebnis
geschafft. Das ist vor allem dem engagierten Wahlkampf vieler Aktiver
vor Ort zu verdanken! Zu unseren 11 deutschen Grünen konnten wir die
Piratin Julia Reda und den ödp-Abgeordneten Prof. Buchner dazu
gewinnen. Unsere Europafraktion ist zwar leider etwas geschrumpft, hat
aber immerhin Mitglieder aus mehr Ländern als vorher: auch aus Ungarn,
Spanien und Kroatien haben wir jetzt Grüne Abgeordnete. In Schweden und
Österreich konnten Grüne mehr Mandate gewinnen, nicht zuletzt durch
klar pro-europäische Positionen gegen die PopulistInnen der
SchwedenDemokraten und der FPÖ.

Bei aller Freude über das gute Grüne Wahlergebnis in Deutschland:
Europa steckt in einer tiefen Krise. Der Süden aber auch Frankreich und
Großbritannien versinken in wirtschaftlichen Problemen,
Arbeitslosigkeit und politischem Populismus. Im neuen Europaparlament
werden 30 Prozent GegnerInnen der europäischen Einigung sitzen, auch
aus Deutschland. Es besteht die Gefahr, dass die Unterstützung für
unser gemeinsames Haus Europa weiter schrumpft. Darauf müssen wir
reagieren gemeinsam mit allen ProeuropäerInnen und als Grüne ganz
besonders. Die meisten BürgerInnen wollen weiterhin die Europäische
Einigung. Sie glauben aber, dass die jetzigen EU-Institutionen und die
europäischen Eliten diese gute Idee oftmals schlecht umsetzen.

Europa braucht eine entschlossene Reaktion auf dieses Wahlergebnis.
Viele Bürgerinnen und Bürger haben das Gefühl, dass sie von der
europäischen Einigung wenig profitieren. Europa bedeutet für sie all zu
oft undemokratische Entscheidungen, Sparprogramme und einseitige
Orientierung auf Wettbewerb und Konkurrenz am Arbeitsmarkt. In vielen
Ländern wurden die RechtspopulistInnen vor allem von BürgerInnen
gewählt, die aus Regionen kommen, die von der raschen Vereinigung
unseres Kontinents weniger profitiert haben. Insofern ist der
Rechtspopulismus auch ein Ausdruck sozialer und regionaler Spaltung der
Gesellschaft. Europa braucht daher nachhaltige Investitionen in
Gemeinschaftsprojekte, die europäische Identität schaffen können und
auch denen nützen, die von der Europäischen Einigung bislang abgehängt
wurden. Dazu gehören beispielsweise schnelle Internetanschlüsse für
alle Regionen, Erasmus für Alle - gerade auch für Auszubildende, eine
Europäische Anstrengung für die Umstellung auf Erneuerbare Energien und
Energieeffizienz, ein gemeinsamer Fernsehsender wie ARTE aber für ganz
Europa. Damit würde Europa den Ruf verlieren, nichts für die Schaffung
nachhaltiger Jobs zu tun und die einseitige Orientierung auf
Strukturreformen überwinden. Unseren Grünen New Deal müssen wir so
ausbuchstabieren und weiterentwickeln.

Finanzieren ließe sich das auch durch mehr Europäische Zusammenarbeit -
nämlich bei der Bekämpfung von Steuerflucht, Steuerhinterziehung und
Steuerdumping sowie der Streichung umweltschädlicher und unnützer
Subventionen. Profite großer Unternehmen leisten im verschärften
Steuerwettbewerb kaum noch einen Beitrag zur Gemeinschaft. Kleine und
mittlere Unternehmen zahlen dafür drauf während soziale und lokale
Infrastruktur abgebaut werden.

Der Unwille der BürgerInnen kommt jedoch nicht nur vom Inhalt
europäischer Politik, sondern auch wie sie gemacht wird. Europas
Demokratie ist viel besser als ihr Ruf. Schon jetzt sind zum Beispiel
die Ausschüsse des Europaparlaments transparenter als im Bundestag und
die EU-Kommission offener als die meisten deutschen Ministerien.
Gleichzeitig habe ich während des Wahlkampfs die große Distanz zwischen
Bürgerinnen und Bürgern und den Europäischen Institutionen gespürt.
Fast in jedem Gespräch wurde deutlich wie weit Brüssel weg ist, selbst
wenn das Europaparlament nach wie vor den besten Ruf genießt. Das ist
eine demokratische Zeitbombe, die uns Grünen nicht egal sein darf. Wir
brauchen in der EU eine Offensive für eine echte Europäische Demokratie
und müssen als Grüne auch unsere Arbeit im Europaparlament
weiterentwickeln.

Die Europäische Demokratie muss vorbildlich werden für Transparenz und
Freiheit von illegitimen Lobbyeinflüssen. Unser Lobbyistenregister muss
endlich verbindlich für alle professionellen Interessensvertreter
werden, die in EU-Institutionen aktiv sind. Was für das Europaparlament
gilt, muss auch im Rat der Mitgliedstaaten gelten: Sitzungen und
Dokumente müssen weitgehend öffentlich werden. So können sich Konflikte
zwischen Gemeinwohl und Einzelinteresse nicht mehr als Kampf nationaler
Interessen tarnen. Interessenkonflikte müssen sowohl bei Abgeordneten
als auch EU-KommissarInnen durch längere Karenzzeiten vor neuen Jobs in
der Wirtschaft und Offenlegungspflichten verhindert werden. Die direkte
Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger selbst kann gestärkt werden:
Kommission und Parlament sollten sich verpflichten, auf eine
erfolgreiche Europäische Bürgerinitative hin, tatsächlich einen
Gesetzgebungsprozess zu starten. Das Wahlrecht selbst sollte
europäischer werden, letztlich mit ergänzenden europaweiten Listen der
Parteien. Und selbstverständlich muss nun ein Spitzenkandidat der
Europäischen Parteien bei der Europawahl EU-Kommissionspräsident werden
und nicht einE KandidatIn aus dem Hinterzimmer von Kanzlerin Merkel.

Aus dem Wahlergebnis können wir aber auch für unsere eigene Grüne
Arbeit im Europaparlament lernen. Die Arbeit an der EU-Gesetzgebung war
oft erfolgreich, aber zu wenig sichtbar. Wir müssen viel stärker aus
der Brüsseler Blase heraustreten und Grüne Brücken für unsere
PartnerInnen in kritischer Zivilgesellschaft, nachhaltigen Unternehmen
und Gewerkschaften in die EU-Institutionen bauen. Statt unzählige
Veranstaltungen in Brüssel zu organisieren, muss mehr Energie in die
Kommunikation zwischen BürgerInnen und Europaparlament fließen.
Flüchtlingsinitiativen, TTIP-KritikerInnen, GegnerInnen von Fracking
und Massentierhaltung, Unternehmen für zukunftsfähige Produkte und
Dienstleistungen usw. können wir mit den Ressourcen unserer Fraktion
europäische Begegnungen untereinander und mit uns Abgeordneten
ermöglichen. So machen wir deutlich: Grüne kämpfen in Brüssel für ihre
Anliegen. Für sie muss Europäische Demokratie erfahrbar werden - durch
aktive und starke Grüne. Europas soziale und demokratische Leerstellen
können wir nur mit der Unterstützung unserer Verbündeten füllen.


Sven Giegold, MdEP, Co-Spitzenkandidat von Bündnis 90/Die Grünen zur
Europawahl 2014, neuer Sprecher der Europagruppe Grüne



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