Haushaltsrede 2010

Bündnis 90/Die Grünen
im Rat der Stadt Siegen
Siegen, 14.04.2010

Haushaltsrede 2010
Es gilt das gesprochene Wort

Herr Bürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren,

nachdem die Steuereinnahmen im vergangenen Jahr dramatisch zurück gegangen sind, hat sich die finanzielle Situation unserer Stadt in einer völlig neuen Größenordnung verschärft. Wir stehen daher heute vor der großen Herausforderung, einem jährlichen strukturellen Haushaltsdefizit von 50 Millionen Euro in einer verantwortungsvollen Weise zu begegnen.

Klar ist aber, dass die Haushaltsprobleme der Stadt auf kommunaler Ebene grundsätzlich nicht lösbar sind.
Tatsächlich brauchen wir eine ernstgemeinte und tiefgreifende Reform der Gemeindefinanzierung. Es ist aus unserer Sicht allerdings bedenklich, dass ausgerechnet die Mitverursacher der städtischen Misere nun die Bewältigung der Krise kontrollieren und der Stadt Vorgaben machen sollen.
So finanziert der Kreis beispielsweise seit Jahren das millionenschwere Defizit des Siegerlandflughafens einfach über Erhöhungen der Kreisumlage, und die betroffenen Kommunen haben keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Auch das Land sorgt aktiv für eine Schwächung der Gemeindefinanzen. Als Stichworte möchte ich hier nur die Kürzung der Schlüsselzuweisungen und die ungenügende Finanzierung des Kindergartenausbaus ansprechen. Wie zum Hohn versuchen die Regierungspräsidien dann die Städte anzuhalten, Kindergartenbeiträge zu erhöhen, Schwimmbäder zu schließen, und was man sich sonst noch an kommunalen Grausamkeiten ausdenken kann.

Das alles darf aber nicht davon ablenken, dass die städtischen Finanzprobleme zu einem beträchtlichen Teil selbstverschuldet sind. Immer wieder haben wir in den vergangenen Jahren auf teure Prestigeobjekte, finanzielle Fehlentscheidungen und falsche Schwerpunkte in der Stadtentwicklung hingewiesen. Klar ist natürlich, dass auch wir Grünen im bestehenden System nicht einfach über 40 Millionen Euro einsparen
können. Doch es ist bitter mit ansehen zu müssen, wie selbst zu einem Zeitpunkt, zu dem die finanzielle Lage Siegens längst bekannt war, immer noch das Geld zum Fenster hinaus geworfen wird.
Damit meinen wir zum Beispiel das völlig überflüssige Neubaugebiet „Im Boden“, das mit 500.000 EUR aus Steuergeldern subventioniert wird, oder den Bau einiger weniger Parkplätze in der Industriestraße, welche den Steuerzahler weitere 500.000 EUR kosten, von denen aber nur sehr wenige profitieren. Hinzu kommen dann noch die im Haushaltsentwurf erwarteten Einnahmen aus Grundstücksverkäufen aus den
Baugebieten „Am Zäunchen“ und „Bürbacher Giersberg“, die man getrost als „Baumeisters Wunschdenken“ bezeichnen kann: Realistisch betrachtet werden hier vorerst gewaltige Summen am Haushalt der Stadt hängen bleiben.

Klar ist: Der vorliegende Haushalt ist kein grüner Haushalt. In wechselnden Konstellationen mit anderen Fraktionen und der Verwaltung ist es aber trotzdem gelungen, gegenüber dem ursprünglichen Haushaltsentwurf einige wichtige Verbesserungen zu erreichen. Dabei möchte ich besonders folgende
Punkte hervorheben:

  • Der längst fällige Abriss der Siegplatte, das Projekt „Siegen zu neuen Ufern“, ist nun mit 14,7 Mio. EUR im Haushalt veranschlagt. Endlich scheint diese Vision Realität zu werden, für die sich die Grünen als einzige Fraktion über Jahre hinweg eingesetzt haben. Darüber sind wir ganz besonders froh.
  • Für die notwendige Sanierung des Hallenbades Eiserfeld werden 300.000 EUR bereitgestellt, während von der diskutierten Schließung eines Hallenbades abgesehen wird.
  • Auch die Turnhalle Seelbach kann in diesem Jahr energetisch und statisch saniert werden, so dass keine Nutzungseinschränkungen mehr zu erwarten sind.
  • Der Bau des von uns immer als Geldverschwendung erkannten Kreisels Bühlstraße wird bis zur Fertigstellung der HTS Siegen-Süd und der Auswertung der damit verbundenen Verkehrsentlastungen ausgesetzt.
  • Für die Erschließung des Baugebiets „Am Zäunchen“ werden dieses Jahr keine Mittel bereitgestellt.
  • Das gibt der Verwaltung die Gelegenheit, endlich ein auf belegbaren Fakten basierendes Wohnraumkonzept zu entwickeln, das dann als Grundlage für die Entwicklung von zukünftigen Neubaugebieten dienen kann.
  • Leider konnten wir die Erhöhung der Grundsteuer nicht verhindern, die wir nur in Verbindung mit einer Anhebung der Gewerbesteuer für sozial wirklich vertretbar halten. Allerdings wird die Veränderung nur noch die Hälfte der ursprünglich geplanten Anhebung ausmachen.
  • Die Einkommensgrenzen für den Wegfall von Kindergartenbeiträgen und den Beiträgen zu offenen Ganztagsgrundschulen bleiben ebenso unangetastet wie das kostenlose Mittagessen für Kinder aus Familien mit geringem Einkommen.
  • Weitere strukturelle Veränderungen des Haushalts, die wir 2009 zusammen mit SPD und UWG beschlossen hatten, konnten im Wesentlichen erhalten bleiben.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, in Zeiten knapper Kassen müssen alte Positionen und lieb gewonnene, aber kostspielige Vorhaben überdacht – und politische Ziele neu formuliert werden. Gerade der letzte Punkt, die Vorgabe klarer, konkreter Ziele, ist im Rahmen des neuen kommunalen Finanzmanagements ein wichtiges Werkzeug, mit dem die gewählten Vertreter der Kommunen die Arbeit der Verwaltung steuern können.

Das Podium, auf dem die Formulierung dieser Ziele eigentlich erfolgen sollte, sind die Fachausschüsse, in denen in den vergangenen Wochen und Monaten der Entwurf des Haushaltes 2010 beraten wurde. Betrachtet man allerdings die zurückliegenden Ausschusssitzungen, muss man zu dem Schluss kommen, dass von dieser Steuerungsmöglichkeit von wenigen Ausnahmen abgesehen kein wirklicher Gebrauch gemacht worden ist.
Im Gegenteil: Die meist von unserer Fraktion angeregten Zieldiskussionen und die kritischen Nachfragen zu einzelnen Haushaltspositionen wurden anscheinend vielfach als störende Unterbrechung beim schlichten Abnicken des Haushaltsentwurfes empfunden. Besonders kritisieren wir, dass einige Ausschussvertreter es vorzogen, sich der Diskussion über den Haushaltsentwurf gänzlich zu entziehen, da ihre Fraktion ja über den Haushalt noch nicht gesprochen habe.
Tatsächlich – ein neutraler Beobachter der Sitzungen hätte wohl kaum den Eindruck gewonnen, dass die Stadt Siegen im Jahr 2010 versuchen muss, 40 Millionen Euro Steuermindereinnahmen zu verkraften. Er hätte wohl nur in Ansätzen erkennen können, wofür die gewählten politischen Vertreter und Vertreterinnen überhaupt eintreten. Meine Damen und Herren, wir finden es beschämend, dass so mit den wichtigen Fachausschussberatungen umgegangen wird.

Da passt es gut ins Bild, dass offenbar auch die Verwaltung den politischen Willen der Ratsfraktionen nicht so recht ernst nimmt. Jemand, der gerade anfängt, sich kommunalpolitisch zu engagieren, hat möglicherweise eine einfache Vorstellung davon, wie das Zusammenspiel von Verwaltung und Politik funktioniert. Darin legt man als Partei zunächst den politischen Inhalt fest, um daraus einen stimmigen Antrag für die Fachausschüsse und den Rat zu formulieren. Dann folgt der scheinbar schwierigste Teil,
nämlich der Versuch, für die eigene Position eine Mehrheit zu erzielen. Und wenn dieses Unterfangen tatsächlich geschafft sein sollte, ist es endlich soweit: Die mit Mehrheit beschlossene politische Vorgabe wird von der Verwaltung mit dem Bürgermeister an der Spitze umgesetzt.
So, meine Damen und Herren, sollte es sein. Aber wie uns die letzten Jahre lehren, scheinen in Siegen die Uhren etwas anders zu ticken. Statt sich ans Werk zu machen und die politischen Entscheidungen umzusetzen, treffen wir auf ein nicht berechenbares Verwaltungssystem aus Umsetzung, halbherziger Umsetzung bis hin zur schlichten Untätigkeit. Beispiele gefällig? Bitte schön:
Für das vom Rat beschlossene Leerstandskataster für Wohnraum wurde weder die erforderliche Stelle eingerichtet, noch wurde bisher auch nur ein Handschlag dafür getan. Der Bau von zusätzlichen Räumen an der Bertha-von-Suttner-Gesamtschule, um die akute Raumnot zu mindern, wurde im Schulausschluss schon 2008, dann im Rat, und dann erneut im Rat beschlossen. Ergebnisse bis heute? Keine. Der Bau von
neuen Radwegen wurde am 25. März 2009 im Rat beschlossen und später im Bauausschuss beraten. Diese Beschlüsse wurden dann jedoch einfach liegenlassen – bis heute. Ebenfalls am 25. März 2009 beschlossen wurde die Einführung eines Kinder- und Jugendparlamentes, doch bis heute wurde nichts getan.
Man könnte meinen, dies seien unglückliche Ausnahmen. Leider nicht, meine Damen und Herren, die Liste nicht umgesetzter Beschlüsse ließe sich leicht fortsetzen. Etwa um die fehlende Stelle für das Städtebündnis gegen Rassismus oder die Fahrradständer an der Siegerlandhalle. Auch die Prüfung der Erweiterung der Bertha-von-Suttner-Gesamtschule entwickelt sich zur unendlichen Geschichte.
Diese Praxis muss umgehend geändert werden. Politische Entscheidungen müssen zeitnah umgesetzt werden, und das Verschleppen nicht genehmer Entscheidungen muss ein Ende haben.
Herr Bürgermeister, als Chef der Verwaltung tragen Sie dafür die Verantwortung! Wir erwarten zur besseren Transparenz, dass alle nicht ausgeführten Entscheidungen dem Rat der Stadt Siegen quartalsweise zur Kenntnis gegeben werden, zusammen mit einer Begründung, warum die Beschlüsse nicht umgesetzt wurden.

Meine Damen und Herren, wir haben in den vergangenen Monaten viel über Sparpotenziale des städtischen Haushaltes gehört, und Vorschläge wie die Schließung eines Hallenbades oder Einschnitte in der Kinder- und Jugendarbeit und im Sozialbereich machten die Runde. Dass es hierzu weitgehend nicht gekommen ist, freut uns sehr. Für uns Grüne ist es wichtig, auch in Zeiten knappster Kassen nicht tatenlos zuzusehen, wie immer mehr Menschen in Armut geraten und von einer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden.  Deshalb sind für uns die eingeführten Freigrenzen für Kindergarten und Schule sowie das kostenlose Mittagessen unantastbar.

Darüber hinaus ist es dringend erforderlich, den Siegener Ausweis aufzuwerten und ein Sozialticket zu schaffen, das diesen Namen auch wirklich verdient. Dass eine Ratsmehrheit es aber abgelehnt hat, einen Armutsbericht für Siegen zu erstellen, ist für uns völlig unverständlich. Wie soll denn die Politik auf soziale Ungleichheit reagieren, wenn sie gar nicht weiß, wie sich die Situation der Betroffenen überhaupt gestaltet? Es steht zu befürchten, dass hier lieber vorbeugend der Kopf in den Sand gesteckt wird, um die vermutlich unangenehme Realität nicht sehen zu müssen.

Aber es gibt auch Sparpotentiale, die wir in Zukunft anpacken können. Einige konkrete Möglichkeiten haben wir bereits genannt, wie zum Beispiel den Wegfall des zweiten Kreisels in Eiserfeld oder auch die Millionen, die nach wie vor in geplante Neubaugebiete wie „Giersberg Ost“ und in neue Gewerbegebiete fließen sollen. Statt in der Stadtentwicklung wie bisher die grünen Wiese für große Baugebiete einzustampfen, die ohnehin schnell vom demographischen Wandel überholt werden, müssen wir uns nach
nachhaltigen Alternativen umschauen. Statt den Flächenverbrauch in den Außengebieten voranzutreiben, sollten wir lieber die Brachen in der Innenstadt reaktivieren. Weiter gilt es, den Lebensraum in unserer Stadt attraktiv umzugestalten und somit die Bürger an die Stadt zu binden. Die Aktion „Siegen zu neuen Ufern“ stellt dabei einen großen Schritt auf dem richtigen Weg dar.
Aber auch existierende Grünanlagen müssen naturnah wieder hergerichtet werden. Bei nur geringen Investitionen kann es dadurch gelingen, Siegen nicht nur für die Bürger und Bürgerinnen lebenswerter, sondern auch unsere kulturhistorisch bedeutsame Stadt für auswärtige Besucher interessanter zu machen. Auch dieser Wirtschaftsfaktor kann
positive Impulse für die zukünftige finanzielle Entwicklung hervorbringen.

Ebenfalls großes Sparpotential sehen wir in einer Änderung der städtischen Verwaltungsebenen. Nachhaltig hätten hier einige 100.000 EUR pro Jahr eingespart können, wenn die Stadt sich entschieden hätte, die Führungsebene der Stadträte abzuschaffen. Dass sich jetzt eine Mehrheit für die mittelfristige Abschaffung der Fachbereichsleiter zu finden scheint, halten wir nicht für den besten Weg, da hier die
politischen Wahlbeamten an weiterem Einfluss gewinnen, andererseits aber die fachliche Seite geschwächt wird. Aber gut, wir tragen diese Sparvariante mit Bauchschmerzen mit.

Schließlich fordern wir grundsätzlich mehr Transparenz bei den politischen Entscheidungen der Stadt. Lassen Sie die Bürger mitentscheiden, wo eingespart werden soll! Andere Städte machen es uns vor: Ob Bremen, Karlsruhe oder auch Solingen und Köln, dort haben alle Bürger über den Bürgerhaushalt ein Mitspracherecht in der Hauhaltspolitik. Gemeinsame, nachvollziehbare Entscheidungen sind akzeptierbarer als von oben diktierte, schwer durchschaubare Beschlüsse.

Sehr geehrte Damen und Herren, zum Schluss möchte ich ausdrücklich die mit großem Zeitaufwand verbundene Arbeit der Haushaltsstrukturkommission positiv erwähnen. Sie hat gezeigt, dass die Willensbildung zum Einsparen zum Teil beträchtlicher Beträge auch im Konsens möglich ist. Zwar sind wir nicht mit jedem Ergebnis zufrieden, aber das liegt nun einmal in der Natur eines Kompromisses. Wie gesagt, der Haushalt 2010 ist kein grüner Haushalt. Dennoch können wir sagen: Der Verhandlungsaufwand hat sich gelohnt, und die Ergebnisse ist für uns vertretbar.

Daher, meine Damen und Herren, können wir als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dem vorgelegten Haushalt zustimmen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

Für die Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN
im Rat der Stadt Siegen
Gero Kunter

 

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